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Schießscheiben mit Geschichte/n

Wenn Mitte Juli auf der Festung Rosenberg die Lorenz Kaim-Ausstellung eröffnet wird, dann werden auch einige besondere Werke von ihm die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich ziehen: Lorenz Kaim hat über seine gesamte Kronacher Schaffenszeit Schießscheiben gemalt und auf ihnen außergewöhnliche oder aktuelle Themen dargestellt. Einen Vorgeschmack auf die vielfältigen Motive und deren Gestaltung gibt die Auswahl an Kaim-Schießscheiben im Bilderbogen der neuen cranach-Zeitschrift des Vereins 1000 Jahre Kronach, beginnend mit einer Scheibe aus dem Jahr 1842. Auf ihr wurde die Eheschließung des bayerischen Kronprinzen Maximilian mit Prinzessin Marie von Preußen gewürdigt, wobei die beiden Randfiguren Bavaria und Borussia mit ihren Wappen die Allianz der Herrscherhäuser symbolisieren.

„Geschichte als Ziel“

Vier Jahrzehnte fast umfassen die Schießscheiben von Lorenz Kaim, deren Aussagen und künstlerische Gestaltung im Rahmen einer Würdigung seines Gesamtwerkes eine sachverständige Interpretation erfahren sollten. Mit einer in dieser Reihe hat sich Michaela Neukum M.A. - seinerzeit Museumsfachkraft der Stadt Kronach - in Heft 6/1993 der Zeitschrift des Vereins 1000 Jahre Kronach ausführlicher befaßt, und zwar mit der hier abgebildeten Schießscheibe, die Lorenz Kaim im Jahr 1868 malte. In ihrem Beitrag mit dem Titel „Geschichte als Ziel“ führt Neukum aus, dass sich diese Scheibe „mit den technischen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Lorenz Kaim (1813-1885), der sich in Kronach und der oberfränkischen Umgebung vor allem als Porträtmaler und als Maler von Altarbildern einen Namen machte, wurde natürlich auch beauftragt, Schützenscheiben zu entwerfen und auszuführen. Die in der Sammlung erhaltenen Scheiben von seiner Hand tragen dabei ganz unterschiedliche Themen: Genrehaftes wie ein Liebespaar in einem Boot, Politisches wie die Scheibe zum Währungswechsel 1876 und Lokales wie die Darstellung des Schieferdeckermeisters Andreas Bauer auf der Turmspitze der Stadtpfarrkirche St. Johannes (die beiden zuletzt genannten sind im Bilderbogen des cranach-Heftes abgebildet, Anm. d. Verf.).
Für das Jahr 1868 wählte er, wohl in Absprache mit dem Stifter, dem dermaligen Schützenmeister Fritz Pfretschner für Herrn Eichmüller aus Staffelstein ein Motiv, dessen Schöpfer er möglicherweise während seiner Münchner Studienzeit kennenlernte: das Giebelbild der alten Einstiegshalle des Münchner Bahnhofs von Michael Echter (1812-1879, München). Diese mehrfach im Druck reproduzierte und oft kopierte Darstellung bringt viel von dem Fortschrittsglauben zum Ausdruck, den die Bevölkerung damals in die Industriealisierung im Allgemeinen und die Eisenbahn im Besonderen setzte.

Industriezeitalter als Motiv

Die maechtigst und besten Fortschrittler unserer Zeit lautet der Titel, den die beiden Spruchbänder in den oberen Bildfeldern tragen, und meint damit die beiden Figuren des Mittelbildes. Der Dampf, der neue Antrieb, ist personifiziert in einem dunkelhäutigen, geflügelten Wesen, das kraftvoll und ungestüm vorandrängt und dabei die Schranken der Kleinstaaterei zerbricht. Ein Beamter des alten Systems wird zu Boden gerissen, zusammen mit seinen alles behindernden Formalitäten wie Grenzkontrollzetteln, Wanderbüchern, Pässen usw.; die Schnecke zeigt an, wie langsam und umständlich der Wissens- und Warenaustausch bisher verlief.

Die Kraft des Dampfes wird aber gezügelt und in die richtige Bahn gelenkt von der Göttin des Handels und Verkehrs, die als Attribut den geflügelten Schlangenstab des Hermes/Mercur trägt. Zwei Putti begleiten die Göttin: einer verteilt Wohlstand aus seinem Füllhorn, der andere bahnt den Weg in die neue Zeit – wenn nötig mit Gewalt.

Die gesamte Darstellung ist von einem Bogenfeld umgeben. Zuunterst stehen zwei feurige Gestalten mit Bergmannsgeräten, eingeschlossen in eine dunkle Höhle, für die Gewinnung des Erzes und für die Nutzbarmachung des Eisens. Über ihnen machen hin und her fliegende Engelchen den Austausch von Wissen und Wissenschaft – in Gestalt zweier schreibender Musen – deutlich (Statt Musen könnte darin auch eine Morse-Verbindung gesehen werden, jedenfalls ist Telegrafie symbolisch dargestellt, und die Assoziation zum „Stille-Post-Spiel“ scheint naheliegend! Anm. d. Verf.).

Die knapp 50 mal 50 cm große Scheibe wurde von Lorenz Kaim mit Ölfarbe bemalt, und ihr Erhaltungszustand ist besonders gut, weil sie nicht beschossen wurde. Warum man diese Tafel nicht für die Ermittlung des neuen Schützenkönigs benutzte, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit klären. Hierzu müsste das Archiv- und Vereinsmaterial, das bisher nur partiell ausgewertet wurde, näher untersucht werden.“ Soweit das Zitat. Es zeigt, dass viele Bilder von Kaim eine dichte Aussage machen und erklärt werden müssen. Und was Michaela Neukum hier noch anspricht, nämlich dass eine intensive Bearbeitung des Kaimschen Werkes wünschenswert wäre um noch manches darin zu entdecken, dem kann nur beigepflichtet werden.

25.4.13 Manfred Raum