Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz

25 Jahre sind in der Vorausschau eine lange Zeit, die Zeitspanne einer Generation. Im Rückblick erzeugt der Zeitraum Verwunderung über die schnelle Vergänglichkeit der Zeit. Blickt man diese Zeitspanne von 2021 zurück, gerät das Jahr 1996 in den Focus der Erinnerung. Was geschah in diesem Jahr? Außerhalb von Kronach führte Frankreich seinen letzten Atomtest auf dem Mururoa-Atoll durch, Papst Johannes Paul II. verkündete das Dekret Universi Dominici Gregis, in der Mongolei fanden Parlamentswahlen statt und Bill Clinton wurde als Präsident der USA wiedergewählt. Und was geschah in Kronach?

Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz

Da schickte man sich an, eine neue Art von Fest zu konzipieren, wie man es bisher weder in Kronach noch in Oberfranken kannte: Ein historisches Fest, das auf der Bühne der Oberen Stadt die Geschichte Kronachs lebendig werden lassen sollte. Diese Idee trug Hans Götz den Mitgliedern des Vereins „1000-Jahre-Kronach e.V.“ in einer Mitgliederversammlung im Jahre 1995 vor. Euphorie entfachte diese Idee zunächst nicht. Als dann der Protagonist des Festes bei seinen Ausführungen die Festung Kronach als „Veste“ bezeichnete, war bei den Vereinshonoratioren „die Brüh verschütt“ und die Hoffnung auf eine breite Vereinsunterstützung auf den Gefrierpunkt gesunken. Von einem späteren Viertelmeister ist die Aussage verbürgt: „Der spinnt…dess wird nie was!“

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Bürgermeister Manfred Raum blieb jedoch weiterhin offen gegenüber den Vorstellungen und Vorschlägen und ließ über das Tourismusbüro mit seiner damaligen Leiterin Elisabeth Hoderlein der Umsetzung dieser Idee alle erdenkliche Hilfe zu teil werden. Er hatte schon das Jahr 2003 im Blick, das 1000-jährige Jubiläum der Stadt Kronach, das, nach seiner Meinung, ohne eine historische Komponente wohl kaum denkbar gewesen wäre. Das historische Fest sollte unbedingt auf den Straßen, Gassen und Plätzen der Oberen Stadt gefeiert werden.

Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz Ein Ansinnen, das sofort alle Bedenkenträger hinsichtlich der Organisation auf den Plan rief: Straßensperrung, Anwohnerproteste, Feuerwehrzufahrt, Brandgefahr, Kirchenbesucher, Durchgangsverkehr, Parkplätze, und vieles mehr. Ein Fest in der Oberen Stadt mit diesen Ausmaßen war vollkommenes Neuland und nach Meinung vieler wohl kaum realisierbar. Dabei lag die Sinnhaftigkeit einer Belebung der Oberen Stadt klar auf der Hand, da in den 1990er Jahren dieser Stadtteil nach Ansicht vieler Kronacher*innen sich zum „toten Inventar“ entwickeln würde. Der Einzelhandel bevorzugte immer mehr die „Untere Stadt“ und entzog den verbliebenen Geschäften in der Lucas-Cranach-Strasse und der Amtsgerichtsstraße die Kundschaft. Eine der letzten Bastionen, die sich diesem Trend mutig aber chancenlos widersetzte, war das Schuhhaus Hümmer, deren Besitzerin ihr Traditionsgeschäft letztlich aus Alters- und Gesundheitsgründen aufgeben musste.

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Die Obere Stadt war tagsüber vorwiegend den Behördengängern vorbehalten, die beim Amtsgericht, dem Finanzamt und der Stadt ihre Angelegenheiten zu erledigen hatten. Dass der Wandel sich hin zu einem „Gastro-Stadtteil“ vollziehen würde, hatte sich angebahnt und ist zwischenzeitlich zur Gewissheit geworden.

„Bürger leben ihre Geschichte“.

Dieses Motto bildete von Anfang an die Grundlage für die Intention, die Geschichte Kronachs aus den Archiven zu holen und auf den Straßen und Plätzen der altehrwürdigen Crana wieder lebendig werden zu lassen. Immerhin gehörte Lucas Cranach d. Ä., einer der bekanntesten Renaissancemaler Deutschlands, zu den heimischen Persönlichkeiten, deren Geschichte erzählt werden sollte. Genauso wie die geschichtsträchtige Bedeutung der Stadt Kronach, die im 16. und 17. Jahrhundert als die Stadt des Bischofs bezeichnet wurde und für das Hochstift Bamberg durch seine Festung Rosenberg von großer Wichtigkeit für die Wehrhaftigkeit des Fürstbistums an seiner nordöstlichen Grenze angesehen wurde. Auch die Bezeichnung „dritte Hauptstadt“ des Hochstiftes, wie sie in Publikationen auch beschrieben wird, hob ihre außergewöhnliche Stellung neben Bamberg und Forchheim hervor. 1996 schickte man sich nun an, diese lokale Geschichte mit und für die Kronacher Bürger sicht- und erlebbar zu machen.

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Aber hat Kronachs Geschichte auch Inhalte, wie den Rothenburger Meistertrunk oder die Dinkelsbühler Kinderzeche zu bieten, um im Konzert der etablierten Feste mithalten zu können? Lucas Cranach d. Ä. war schon ein Pfund, das man in die Waagschale hätte werfen können. Aber dessen Jugendjahre in Kronach gaben nur wenig Stoff für eine mehrtägige Inszenierung her. Anregungen fanden sich zunächst im Begleitband zur Landesausstellung „Lucas Cranach – ein Malerunternehmer aus Franken“ im Jahre 1994. Die Publikation „Kronach – Stadt des Bischofs“ enthielt so vielfältige Informationen über eine neuzeitliche aufstrebende Stadt, die den Initiator veranlasste, die Ämter der Viertelmeister wieder aufleben zu lassen. Als städtische Repräsentanten der vier Viertel der Oberen Stadt waren sie neben den Ratsherren das wichtigste Bindeglied zwischen den Bürgern und der Stadtverwaltung in damaliger Zeit.

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Wer diese Viertelmeister sein sollten, kristallisierte sich in den vielen Versammlungen heraus, die ein Jahr lang im Vorlauf abgehalten wurden. Die Diskussionen, in welcher Form ein solches Fest abgehalten werden sollte, orientierten sich an den herkömmlichen Schützen- und Kirchweihfesten. Ein ruhigeres Fest, nur mit mittelalterlicher Musikbegleitung konnten sich die Wenigsten vorstellen. Vielleicht war das der Grund, dass kurz vor dem Fest zwei Gruppierungen aus der Bewirtung des Marktplatzes ausstiegen. Diese Gelegenheit nutzte das Kronacher Jugendorchester unter dem damaliger Vorsitzenden Reinhard Grebner zum Einstieg in ein einträgliches Engagement. Eigentlich sollten möglichst viele Vereine im Wechsel am Ertrag dieses Festes teilhaben. Leider fehlte einigen der Glaube an die praktische Umsetzbarkeit.

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Zum ersten Viertelmeistertag am 3. März 1996 war es dann soweit. Bürgermeister Manfred Raum bestellte erstmals wieder vier Viertelmeister und nahm ihnen in der Markthalle des Alten Rathauses feierlich den „Viertelmeistereyd“ ab: Hans Müller (VM I), Stefan Wicklein (VM II), Walther Schinzel-Lang (VM III) und Karl-Heinz Hühnlein (VM IV), alles Bewohner der Oberen Stadt. Am 20. Mai 1996 stellten sich die Viertelmeister in ihren neuen Gewändern zusammen mit Stadtvogt Hans Götz den „Ratsherren“ in der konstituierenden Sitzung des Kronacher Stadtrates vor. Die Gewänder waren von Frau Charlotte Ernst im Renaissancestil kurzfristig, aber mit großer Sorgfalt und Können geschneidert worden. Unsere Euphorie übertrug sich leider nicht auf die anwesenden Ratsfrauen und Ratsherren. Diese taten sich von Anfang an schwer - und tun es mit wenigen Ausnahmen immer noch -, einen aktiven gewandeten Beitrag zum historischen Fest zu leisten. Mit dem fürstbischöflich verliehenen Spanischen Habit aus dem Jahre 1654 „fremdeln“ sie noch immer.

Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz

Viele Einzelinitiativen im Vorfeld des historischen Festes, das vom 27. – 29. Juni 1996 stattfinden sollte, ließen die Zuversicht zum Gelingen der Veranstaltung wachsen. Die Bäckerei Oesterlein präsentierte eine gebackene Housnkuh für das leibliche Wohl. Die Ritter zum goldenen Turm zu Cranaha konstruierten eine überdimensionale Waage, um die Besucher mit Kronacher Pflastersteinen aufzuwiegen. Die Schlosserei Hümmer fertigte ein „Drehhäusla“ an, das zur Bestrafung bürgerlicher Ordnungswidrigkeiten während des Festes dienen sollte und der Kaiserhofbräu Thomas Kaiser braute einen neuen Gerstensaft ein, den er nach Lucas Cranach d. Ä. benannte und in „historischen“ Bügelflaschen abfüllte.

Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz

Einer Person gebührt ein besonderer Dank. Ohne ihn hätten in der Lucas-Cranach-Straße die Handwerker und Schausteller ohne Marktstände arbeiten oder ihre Waren feilbieten müssen. Erinnert werden soll hier an Jakob Bogner (gest. 2015), der sich zusammen mit dem Stadtvogt Hans Götz um die so genannten „Kleinigkeiten“ des Festes kümmerte. Aus seiner Hand stammt auch der städtische Pranger, der bereits zum Historischen Stadtspektakel stark in Anspruch genommen wurde. Jakob Bogner war zudem mit seiner Seelabacher Seilerei eine Attraktion des Handwerkermarktes. “Nebenbei“ spielte er dann noch mit seiner Frau Anna (gest. 2014) die Hauptrollen im Stück „Das Hochzeitsbier“ der Pottu-Theatergruppe.

Historisches Stadtspektakel zu Kronach - Geprägt von Stadtvogt Hans Götz

Vom Fest angesprochen fühlten sich auch die damals noch bestehenden Geschäfte der Oberen Stadt: Cafe Herrmann bot „Nonnenpfürzchen“ an. Cafe Röckelein warb mit bäckerischen Überraschungen und Uhren Martin verlagerte sein Angebot auf die Straße. Rudi Fiedler (Magolds Haushaltswaren), genannt Zinko, erinnerte sich seines väterlichen Handwerks und goss wunderbare Erinnerungsstücke aus Zinn, u. a. eine Miniatur-Cranach-Schlange. Das Pelzhaus Völler staffierte die Feuerwehr mit selbst gefertigten ledernen Löscheimern aus, die dann tatsächlich bei einem Budenbrand auch zum Einsatz kamen. Für festes Schuhwerk sorgte Schuhmachermeister Albert Porzelt, der zwar nicht von ganz alten Zeiten, aber von „alten Zeiten“ unterhaltsam zu erzählen wusste. Mit einem selbstgebauten Marktstand stellte Schreiner Robert Götz alle anderen Stände in den Schatten und wurde so schnell zum Treffpunkt für das historische Volk.

Mit einem Festzug vom Kaulanger in die Obere Stadt, der vom damaligen Kommandanten der Fürstbischöflich Bambergischen Schützen- und Artilleriecompagnie zu Cranach Bernd Wollner angeregt wurde, wagten die Protagonisten den Beginn des historischen Treibens in Kronach. Als man durch das Bamberger Tor auf den Melchior-Otto-Platz marschierte, wurden die Historischen von einer beeindruckenden Menschenmenge begrüßt, die alle überraschte. Die anschließende Bierprüfung mit dem Eyd des Braumeisters Thomas Kaiser, dass er ein „gut trinkig“ Bier gebraut habe, konnten die Besucher nach einer unentgeltlichen Selbstverkostung nur bestätigen. Überboten wurde die Darbietung auf dem Melchior-Otto-Platz dann noch vom Publikumsandrang auf dem Marktplatz vor dem Rathaus. Dichtgedrängt saßen dort Kronachs Bürger*innen und erlebten einen lauen Sommerabend, der einen mit der Musik von „Geyers Schwarzen Haufen“ wahrlich in das hochstiftliche Cranaha des 17. Jahrhunderts, die Stadt der Bamberger Fürstbischöfe, zu entführen schien.


© Hans Götz
Grüne Au 46a
96317 Kronach